Mittwoch, 12. Februar 2020

Pressemitteilung 2-2020 Teil1



Pressemitteilung Nr. 02-2020
Datum: 12.02.20, 16:00 Uhr

Windkraftblockade – Wer klagt denn eigentlich?
Seit Monaten beklagt die Windenergiebranche, aber auch Energie- oder Kommunalverbände und Teile der Politik den ins Stocken geratenen Ausbau der Windenergienutzung an Land. Ein Grund wurde schnell ausgemacht: die vielen Klagen gegen Genehmigungen und Projekte durch Natur-schutzverbände und betroffene Bürger. Eine wenig repräsentative Umfrage der Fachagentur Wind vom Sommer 2019 dient als Quelle. Ein Ziel der Branche: Einschränkung der Klagerechte.
Doch ist das wirklich so? Ein Blick nach Ostwestfalen zeichnet ein ganz anderes Bild, allein gegen den Kreis Paderborn waren in den letzten 8 Jahren mehr als 260 Klagen anhängig.


Gewitterstimmung über dem Paderborner Land                        (Foto. Reinhold Uhl)



Mehr als 300 Anlagen werden bundweist beklagt, schreibt die die Fachagentur, mehr als 60 Prozent der Klagen führen Naturschutzverbände. Dazu kämen immer mehr Klagen betroffener Anwohner, ist dem Bericht, an dem auch der Bundesverband Windenergie mitgearbeitet hat, zu entnehmen. Dieses alles soll den weiteren Ausbau der Windenergie blockieren? Ein Blick auf einen der Hot Spots der deutschen Windenergienutzung, den Kreis Paderborn, zeigt das Gegenteil auf.

Stromkammer Westfalens
Der Kreis Paderborn ist in Sachen Windenergie leidgeprüft. Klagen gegen Flächennutzungspläne oder Genehmigungen haben hier die gleiche Tradition wie der Ausbau der Windenergienutzung selbst. Seit rund 25 Jahren liegen sich Projektierer, Räte und Verwaltungen im Clinch. Die Androhung von Klagen und Schadensersatzforderungen führten zu Angstplanungen der hiermit vollkommen überforderten Räte und Verwaltungen. Einzig verbliebenes Planungsziel: Erlangung der Rechtssicherheit – welch ein Trugschluss, wie sich immer wieder herausstellt.
Die teuren und aufwendigen Flächennutzungspläne scheiterten reihenweise vor dem Oberverwal-tungsgericht Münster. Teilweise zum wiederholten Male, trotz Ausweisung riesiger Flächen durch Kommunen im Südkreis Paderborn. Irgendein Grundbesitzer oder Projektierer kam wieder zu kurz und klagt. Fehler finden sich vor Gericht fast immer, Planungen laufen den Gerichtsentscheidungen hinterher, planerische Atempausen sind zum Teil nur durch Vergleiche in den laufenden Verfahren erreichbar. Das teilweise sehr aggressive Vorgehen der Windmüller war erfolgreich: derzeit drehen sich 514 Windräder im Kreis Paderborn, 30 weitere Anlagen sind genehmigt, 84 in Planung, kein Ende in Sicht.
Nahezu 200 Anlagen auf rund 50 km² stehen allein auf dem Sintfeld bei Bad Wünnenberg, sicherlich ein Spitzenwert der deutschen Windenergienutzung an Land. Dieses Kerngebiet der Paderborner Hochfläche wurde inzwischen schon als „Stromkammer Westfalens“ bezeichnet, Strohkammer war einmal.
Diese Hochfläche ist ein Eldorado für unterschiedlichste Vögel, ob als Lebensraum oder als wichtiger Rastplatz. Das der massive und maßlose Ausbau der Windenergie im Kreis Paderborn auch in Punkto Artenschutz immer weiter in Problemzonen vorstößt, ist dadurch allein schon nachvollziehbar und bleibt auch nicht folgenlos, die Zahl der Schlagopfer-Funde steigt deutlich. Ebenfalls die Zahl der Auflagen in den Genehmigungen.

Mehr als 260 Klagen in den vergangenen 8 Jahren
Die im Kampf gegen die nutzungseinschränkenden Pläne der Kommunen erfolgsverwöhnten Projektierer gehen natürlich auch juristisch gegen die zunehmend umfangreicheren Auflagen vor. Im Herbst 2019 berichtete der Paderborn Kreisbaudezernent Martin Hübner in einer Bürgerversammlung allein von 224 Klageverfahren gegen den Kreis als Genehmigungsbehörde, die seit 2011 abgeschlossen werden konnten, weitere 39 Verfahren waren noch anhängig. Die Aufschlüsselung dieser Verfahren nach Kläger und Hintergründen ist aufschlussreich:
-          1 Verfahren wird von einer Gemeinde geführt, denen die Verlängerung der Zurückstellungsfrist (üblich bei laufenden Planungsverfahren) nicht gewährt wurde
-          1 Verfahren wird von einem Anwohner gegen eine nachträgliche Genehmigung zur Leistungserhöhung von Anlagen in der Nachtzeit geführt
-          2 Verfahren gegen ein und denselben Windpark mit 10 Anlagen wird von einem Anwohner aus unterschiedlichen Belastungsgründen geführt
Außerdem werden

-          2 Verfahren gegen ein und denselben Windpark mit 10 Anlagen erstmals im Kreis Paderborn durch einen Naturschutzverband geführt. Grund ist die juristische Prüfung der Zulässigkeit des hier angewendeten „Winterbetriebsmodells“.

Aber von den übrigen 33 der insgesamt 39 Klagen werden

-          15 Verfahren von Betreibern geführt, die gegen Auflagen aus ihrer bereits vorliegenden Betriebsgenehmigung klagen. Hauptgrund: Abschaltzeiten zum Fledermausschutz (werden für die erste Betriebszeit festgelegt um ein Monitoring durchzuführen)
-          18 Verfahren von den Antragsstellern gegen Ablehnungen geführt, eine davon richtet sich allein gegen den Gebührenbescheid

Zwei der aktuellen Verfahren (Antragssteller) stammen aus dem Jahr 2014 und haben ihren Weg bis zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gefunden, einen Weg, den aufgrund der Zeit und der hohen Prozesskosten nur die wenigsten Bürger beschreiten dürften. Inzwischen hat die Zahl der anhängigen Verfahren weiter zugenommen, so wurde das Oberveraltungsgericht in Münster ebenfalls wieder bemüht.
Auch Normenkontrollklagen wurden weiter angestrengt, aktuell gegen die Stadt Paderborn. Hier fühlt sich eine Gruppe von Antragsstellern u.a. zu Unrecht vom Schwarzstorch beeinträchtigt. Die Stadt kann ihre Planungen von vorne beginnen.

90 Prozent der Klagen durch Betreiber und Antragssteller
Summiert man die Zahl der Klagen gegen den Kreis Paderborn und die Zahl der Klagen gegen Flächennutzungspläne in dieser Region, so liegt die Quote der durch Betreiber, Antragssteller und Projektierer angestrengten Klagen bei rund 90 %! Eine ganz andere Zahl, als uns die FA Wind mit ihrer Auswertung suggeriert.  
Auch die Klagebegründung ist anders als dargestellt. Der Artenschutz spielt zwar eine Rolle, aber die vielen Klagen u.a. gegen die Abschaltzeiten zum Schutz der Fledermäuse dienen primär der Aufweichung der Auflagen und der damit verbundenen Betriebseinschränkungen. Der Hang zur Leistungsoptimierung ist manchmal stärker ausgeprägt als das Verständnis für Rücksichtnahme.
Die Schutzbedürfnisse der hiesigen Bevölkerung spielen bei den Klagen kaum eine Rolle. Mögliche Probleme mit dem Schall sind rechtlich ohnehin auf ein Minimum reduziert. Grenzwerte werden ausgereizt. Das hier nur eine Anwohnerklage anhängig ist, verwundert, zeugt aber auch von den Hürden, die von den betroffenen Bürgern fachlich und finanziell kaum genommen werden können. Auch auf Betreiberseite bedarf es keiner Klagen mehr, sie liefern Nachberechnungen und erwirken so die gewünschten Nachgenehmigungen mit Aufhebung der Leistungsreduzierung, inzwischen schon fast an der Tagesordnung im Kreis Paderborn.
Gleiches gilt für Verbandsklagen: Die erstmals durch einen Verband im Kreis Paderborn angestrengte Klage richtet sich primär gegen die Zulässigkeit einer Teilzeitgenehmigung, dem. sog. „Paderborner Winterbetriebsmodell“, also um eine Grundsatzfrage. Um genau diese Frage zu klären hat der Kreis Paderborn ganz aktuell selbst Antrag auf Zulassung der Revision beim OVG Münster gestellt.

Auflagen werden missachtet
Dabei wären gerade beim Artenschutz Klagen gegen einzelne Auflagen hier mehr als angebracht. Viel zu kurze Abschaltzeiten im Nahbereich zu einem Schwarzstorch-Horst sind ein Beispiel für in der Vergangenheit eher zurückhaltend praktizierte Einschränkungen der Betriebsgenehmigungen. Wie im Kreis Paderborn von verschiedenen Betreibern mit Betriebsauflagen umgegangen wird zeigt eine aktuelle Mitteilung der Paderborner Kreisverwaltung: in 2018 und 2019 haben 152 Kontrollen 122 festgestellte Verstöße ergeben. Die Bearbeitung der Verstöße ist noch nicht abgeschlossen, ein Teil der Fälle liegt auch bei der Paderborner Staatsanwaltschaft.  
Klagen als Motor des Windenergieausbaus
Anders als derzeit in unterschiedlichsten Medienberichten zu hören oder zu lesen, führen Klagen im Bereich der Windenergienutzung nicht zu einer Blockade des Windenergieausbaus sondern eher zum Gegenteil, zumindest im Windenergie Hot Spot Paderborner Land. Aber der Kreis Paderborn ist kein Einzelfall, wie Berichte aus anderen Landkreisen erwarten lassen.

Es stünde der Politik, den Verbänden oder auch manchem Medienvertreter gut zu Gesicht vorgefundene Fakten immer erst zu prüfen und objektiv zu bewerten, bevor wieder einmal mit dem Finger auf die Falschen gezeigt wird und den betroffenen Menschen vor Ort oder den Umweltverbänden weitere Rechte genommen werden.

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